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Pyrethroide

April 2000:

Dr. Tino Merz, Systemische Oekologie - Presseerklärung

BAYER sichert Absatz von Pyrethroiden mit Fälschung toxikologischer Daten und gefährdet den zukünftigen Absatz vieler Produkte

Toleranzwerte

Die Fa BAYER AG veröffentlicht Toleranzwerte für Pyrethroide die nachweislich mehrere Zehnerpotenzen zu hoch sind. Das Zustandekommen dieser Werte zeigt ein methodisches Vorgehen:

Ein Mitarbeiter der Abt. Inhahaltionstoxikologie, Dr. J. Pauluhn, veröffentlichte 1998 Auswertungen von Experimenten mit Tieren und Menschen. Ein gründliches Studium zeigt recht grobe Regelverstöße schon in Sachen Mathematik und Statistik. In Sachen Toxikologie sind Selektion von Daten, Beeinflussung von Probanten, Gleichsetzung von akut und chronisch bei der Ermittlung der Wirkschwelle zu nennen. Bei der Festlegung des Toleranzwertes schließlich wird ein Sicherheitsfaktor von 10 in Ansatz gebracht, während international Faktoren zwischen 100 und 1000 üblich sind.

So wird letztlich aus Tierexperimenten - deren Auswertung eher eine akute Wirkschwelle von 10 als 100 µg/m³ ergeben - welche nur Minuten dauerten eine angeblich lebenslang unbedenkliche Innenraumbelastung von 10 µg/m³ (!) "vorgerechnet". Eine optimistische (aus der Sicht der Firma) Abschätzung ergibt dagegen 10 ng/m³, sicher sind möglicherweise 1 ng/m³, also nur 1/10000.

Fälschung erfolgt ganz offen

Diese Schlussfolgerungen lassen sich aus der Veröffentlichung selbst ziehen ohne zu Hilfenahme von wissenschaftlicher Literatur oder gar plausibler Annahmen.

Weitere Versuche bei BAYER mit Teppichbodenabrieb zeigen, dass solch grobe Korrekturen im Falle der Pyrethroide notwendig sind, um ein auf den Markt bringen überhaupt rechtfertigen zu können. Insbesondere Dauerbelastungen durch Elektroverdampfer und Textilimprägnierungen sind selbst gemäß den experimentellen Basisdaten von BAYER nicht verantwortbar.

Man hält sich an keine Regel

Schon vorher war Rahmen gutachterlicher Arbeit vor Gericht ist aufgefallen, dass die Fa. BAYER Ag ein obskures Paper in Umlauf brachte, das in sich nicht schlüssig und auch sonst nicht nachvollziehbar ist, aber als "Grundlage" für Behauptungen in der Öffentlichkeit diente und sein Unwesen in Gerichtsverfahren trieb.

Die Kritik des Papers brachte dem Autor eine Einladung nach Wuppertal ein. Fünf Stunden lang, versuchten Dr. Pauluhn und Dr. Schüle die Sache zu "erklären". Die Basis dieser "Erklärungen" bildete die Behauptung, alles erfolge streng wissenschaftlich nach international harmonisierten Verfahren. Davon kann nicht ansatzweise die Rede sein.

Wir wissen nicht, ob dies ein Einzelfall ist, wenn auch die Art und Weise auf Übung schließen lässt: zweideutig-schludrige Formulierungen prompt an Stellen, wo die Zahlen verbogen wurden, schriftliche Nichtbeantwortung, tollkühne "Erklärungen" – und vor allem die Tatsache, dass man sich offensichtlich darauf verlassen kann, dass die Gutachter der Zeitschriften, denen man diese Machwerke einreicht, die Sache abdecken helfen.

Dies erweckt eher den Eindruck von Organisation als aus der Not geborenen ad hoc Entscheidungen.

Der Aktionärsversammlung soll vor Augen geführt werden, dass der ohnehin nicht gute Ruf der Chemie in Sachen Gesundheit völlig zur Unglaubwürdigkeit verkommt. Die Firma kann Pestizide und andere technische Produkte nur verkaufen, weil Handwerker, Gemüsehändler und andere Anwender immer noch glauben wollen, dass jene "Ungefährlichkeit für den Menschen" im großen und ganzen stimmt.

Ist der Ruf erst ruiniert...

Die Öffentlichkeit ist längst kritischer geworden. Ihr wird hiermit erklärt, dass die Fälschung sich längst ohne Scham in sogenannter wissenschaftlicher Literatur vollzieht. Die Aktionäre sollten sich Gedanken über den zukünftigen Absatz ihrer Produkte machen.

* Vorabdruck aus STICHWORT BAYER, Ausgabe 1/99 *
* Zeitschrift der Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. *
* Internationales Netzwerk seit 1983 * * Für Anfragen, Kontakte und kostenloses Probeabo: * * CBG, Postfach 15 04 18, 40081 Düsseldorf *
web: www.CBGnetwork.org

Dr. Tino Merz
Pyrethroidstudie der Firma Bayer: Können Zahlen lügen ?

Warum liegen die Ergebnisse verschiedener toxikologischer Be-
wertungen oft so weit auseinander? Zu Umweltrisiken einzelner
Stoffe liegen häufig völlig unterschiedliche Expertisen vor, die
sich jeweils streng wissenschaftlich geben. Die einen sehen bei
jeglicher Schadstoffbelastung der Bevölkerung die Gefahr von
Gesundheitsschäden, andere erwarten selbst bei einer tausendfa-
chen Dosis keine ernsthaften klinischen Wirkungen. Es scheint,
als wüssten die Experten nicht weiter, und die Öffentlichkeit
steht ratlos daneben.
Dass Ergebnisse bewußt verfälscht werden, kann oft nicht bewie-
sen werden. Ein solcher Nachweis erfordert schwierige Recher-
chen, wie das Beispiel der kontaminierten Castorbehälter de-
monstriert hat. Manchmal jedoch, wie bei der Bewertung der
Giftigkeit von Pyrethroiden durch die BAYER AG, genügt es,
den Text genau zu lesen.
Von Dr. Tino Merz

BAYER: Pyrethroide unbedenklich bis 5.000 ppm?
In der von BAYER vorgelegten Studie (J. Pauluhn ,Pyrethroide im
Hausstaub - Vorgehensweise bei der Quantifizierung gesundheitlich
bedeutender Parameter und deren toxikologischer Bewertung") wird
vorgerechnet, daß Pyrethroide bis zu einem Gehalt von 5.000 ppm im
Hausstaub völlig ungefährlich seien (ppm = parts per million, ent-
spricht 5 Promill). Solche hohen Konzentrationen finden sich im
Hausstaub auch in extremen Fällen nicht, das BgVV (Bundesinstitut
für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, ehe-
mals Bundesgesundheitsamt) nennt einen Wert von 1 ppm als den
Richtwert zur Unterscheidung von sachgemäßer und nicht sachgemä-
ßer Anwendung dieser Insektizide. Das Papier von BAYER wurde
auf einem Kolloquium zur Pyrethroidproblematik 1995 in Berlin vor-
gestellt und allgemein akzeptiert. Es spielt bis heute bei Schadenser-
satzprozessen eine zentrale Rolle, etwa für die Verteidigung von
Schädlings-Bekämpferfirmen.
Oberflächlich gelesen wird in der Studie aus einem Tierversuch eine
Wirkschwelle ermittelt, daraus mit einem Sicherheitsabstand von ei-
nem Faktor 10 eine allgemein verträgliche Atemluftkonzentration
bestimmt und daraus schließlich unter Zuhilfenahme von üblichen
Staubgehalten in Innenräumen der Unbedenklichkeitswert von 5.000
ppm errechnet. Darüber hinaus wird noch in einem weiteren Experi-
ment die Transferrate bestimmt, die angeben soll, wieviel eines Py-
rethroids (Cyfluthrin) aus einem normal behandelten Teppich bei star-
ker Beanspruchung in die Raumluft gelangt. Die Wahl von Cyfluthrin
aus der großen Palette der Pyrethroide wird damit begründet, dass es
sich dabei um das giftigste Pyrethroid handelt. In diesem Sinne wurde
das Papier auch von diversen Autoren in Zeitschriften dargestellt.
Für die wissenschaftliche Bestimmung einer lebenslang verträglichen
Dosis benötigt die Toxikologie üblicherweise einen Langzeittierver-
such (2 Jahre) zur Bestimmung der chronischen Wirkschwelle, um
Speicher- und Zermürbungseffekte mit einzubeziehen. Diejenige Ver-
suchsreihe, die keinen Effekt mehr zeigt, legt den No Effect Level
(NOAEL = No Adverse Effect Level) fest. Mit einem mehr oder we-
niger willkürlichen Sicherheitsfaktor von mindestens 100 - ein Faktor
10 für den Unterschied der Spezies und ein Faktor 10 für die Unter-
schiede der Individuen einer Spezies - oder 1000 (wie bei Dioxin)
wird dann der ADI-Wert (acceptable daily intake) errechnet.
Der Tierversuch bei BAYER dauerte jedoch nur 80 Minuten. Die
Tiere zeigten trotzdem sofort einsetzende Reaktionen. Eine solche
Akut-Reaktion erfolgt nur bei einer sehr hohen Schadstoffkonzentra-
tion. Aber auch eine um Zehnerpotenzen niedriger liegende Wirkkon-
zentration kann noch nach Jahren zu chronischen Effekten führen. In
der Studie wird von vornherein zum einen ein zu niedriger Sicher-
heitsfaktor angesetzt und zum anderen das hohe Belastungsniveau
einer sofortigen Reaktionen zur generellen Bemessungsgrundlage
gemacht.
Die errechnete ,maximale tolerierbare Grenzkonzentration von 10 µg
Cyfluthrin/m3 Luft" beinhaltet einen um 10-100 zu niedrigen Sicher-
heitsfaktor und ist darüberhinaus erfahrungsgemäß um etwa einen
weiteren Faktor 100 zu hoch für chronische Belastungen. Nach die-
sem Korrekturansatz ergäbe sich eine möglicherweise tolerierbare
Luftkonzentration für die lebenslange Belastung von 0,001-0,01
µg/m3 entsprechend 1-10 ng/m3.

Grundlage fehlt
Selbst jenes magere Ergebnis, das dem Zwecke einer Unbedenklich-
keitserklärung kaum dienlich ist, ist durch die Laborversuche keines-
wegs abgesichert. Bei allen Versuchen mit dem Pyrethroid zeigten die
Ratten Wirkung. Eine im Text eingeführte
,Reizschwellenkonzentration (RD0)" wird weder definiert noch be-
rechnet. Sie taucht einfach auf. In der Darstellung schließt sich diese
Auswertung des Experiments, also die Einführung einer Reizschwel-
lenkonzentration, nicht einmal unmittelbar an die Darstellung des
Tierversuches an. Dann würde es wohl auch dem flüchtigen Leser
auffallen. Denn zwischendurch wird über den Transferversuch Tep-
pich => Meßstation => Ratten berichtet.
Diese Gliederung des Textes ist gar nicht von vorneherein zu bean-
standen, denn zur Errechnung der maximalen Staubbelastung muß
man sowohl die maximal verträgliche Atemluftkonzentration mit
Cyfluthrin als auch die maximale Staubbelastung, etwa beim Spielen
und Toben, ermitteln. Die Experimente mit Teppich und Bürste be-
wirken Sofortreaktionen bei den Tieren. Rechnerisch zeigt sich bei
einer Kontamination von 20 mg Cyfluthrin/m² Teppich und starker
Beanspruchung - z.B. Kinderzimmer - eine derart hohe Luftbelastung,
dass alleine auf inhalativem Wege die Grenzwerte der WHO von 10
µg/Tag pro kg Körpergewicht für Deltamethrin um das 4-20fache
überschritten wird, wenn man die Beanspruchungsphase (Toben und
Spielen) mit 6 Stunden pro Tag in Ansatz bringt. Doch nun eine wei-
tere Überraschung: Die im Versuch eruierte Staubkonzentration wird
in die spätere Rechnung nicht eingesetzt, sondern stattdessen veraltete
Literaturwerte. Mit den maximalen Staubwerten aus dem Experiment
wäre die Grenzkonzentration mit 50 ppm um einen Faktor 100 niedri-
ger ausgefallen.

Reizhusten oder chronische Nervenschäden
Doch mit derartigem Schönrechnen hat die Abteilung Inhalationstoxi-
kologie der BAYER AG ihr Klassenziel noch immer nicht erreicht.
Sie muß jetzt darstellen, dass diese Ergebnisse auch bei lebenslanger
Belastung gelten. Dies wird folgendermaßen gemacht: Es wird einfach
festgestellt, daß die Stärke der Reaktion der Versuchstiere linear von
der Belastungskonzentration abhängt und diese Wirkung mit der Zeit
nicht zunimmt. Somit spielt nur die Wirkschwelle der Sofortreaktion,
nicht aber die Wirkdauer eine Rolle.
Ein solcher Verlauf ist bei Akutreaktionen die Regel. Der Körper
steuert zunächst gegen, und die Reaktion nimmt kurzzeitig sogar ab.
Dies zeigen auch die Versuche. Bei entsprechend niedrigen Konzen-
trationen - niedriger als in diesem Experiment - schafft es der mensch-
liche Körper in der Regel, die Symptome für einen gewissen Zeitraum
ganz zu unterdrücken. Um so schlimmer ist nachher der Zusammen-
bruch. Dieser Mechanismus wird noch verstärkt, wenn die Gifte im
Körper gespeichert werden, was bei den Pyrethroiden der Fall ist. Aus
diesen Gründen darf eine Unbedenklichkeitsschwelle (ADI-Wert)
grundsätzlich nur auf der Basis von Langzeitversuchen abgeschätzt
werden. Das BAYER-Papier ignoriert diesen toxikologischen Grund-
satz!
Weiter heißt es in der Studie: ,Dosisberechnungen des auf chroni-
schen Fütterungsstudien basierenden ADI-Wertes werden daher für
die relevantere inhalative Exposition als nicht zulässig angesehen."
Diese Aussage gründet allein auf der Behauptung, der Schwellenwert
der Inhalation sei ,der niedrigste". Durch das Wörtchen ,daher" wird
so getan, als sei dies eine zwingende Schlussfolgerung des bereits
Vorgetragenen. Vergleiche von verschiedenen Wirkschwellen für ver-
schiedene Aufnahmewege wurden jedoch nicht unternommen, die
Behauptung ist ähnlich unbefleckt erzeugt worden wie zuvor die
Reizschwellenkonzentration.

Die Dosisabschätzung - Pfade der Giftaufnahme
Doch mit den beiden dargestellten Übungen Schönrechnen und Um-
schiffen der Klippe ,chronische Exposition" ist die Sache noch immer
nicht wasserdicht. Denn grundsätzlich muß für alle drei Expositi-
onspfade - Atemweg, dermale Aufnahme (Resorption über die Haut)
und orale Aufnahme - das Risiko bestimmt werden. Also enthält das
Papier auch eine Abschätzung der dermalen und oralen Aufnahme.
Nun wird sich der Leser fragen, wie man eine Aufnahme über die
Haut und die Ingestion (z.B. Ablecken von Spielzeug, Eintrag der
Chemikalien auf die in der Wohnung gelagerten Nahrungsmittel) mit
einer rein inhalativen Wirkschwelle vergleichen kann. Die Frage ist
berechtigt. Man kann nicht. Auch dieser Teil der BAYER-Studie ist
Unfug. Er hat nur den Sinn, schwarz auf weiß dem zu erwartenden
Vorwurf zu begegnen, Teile der Risiken seien vernachlässigt worden.
Schon die alten Römer wußten: quod est in acta, est in mundo - was
in den Akten steht, ist auch in der Welt - sprich: ist existent. Ob der
Inhalt Unfug oder Wissenschaft ist, bleibt dann für Öffentlichkeit,
Verwaltung und Gerichte ,Expertenstreit".

Beim Nachrechnen finden sich wieder Rechenkünste. Bei der derma-
len Aufnahme wird der Transferversuch erstmals herangezogen. Dort
ergab sich eine Streuung im Ergebnis von einer Zehnerpotenz . Es
wird die untere Transferrate eingesetzt. Doch dies genügt noch nicht.
Deswegen taucht in der Rechnung noch ein Faktor
,Bioverfügbarkeit" von 2% auf, der wie gehabt weder definiert noch
berechnet wird. Diese Bagatellisierung um den Faktor 500 muß vor
dem Hintergrund der Ergebnisse chinesischer Autoren gesehen wer-
den, die der dermalen Aufnahme in Innenräumen eine ganz entschei-
dende Rolle beimessen. Korrigiert man die hier monierten Fehler, so
ergibt sich eine kritische Konzentration für Hausstaub von 17 ppm.
Doch dies ist weniger von Belang, da wissenschaftlich ohnehin wert-
los. Die so niedergerechnete dermale Dosis soll dem flüchtigen Leser
wohl suggerieren, dass die Frage nach dermaler und ingestiver Auf-
nahme, deren Akkumulation und chronischer Wirkung, unwichtig sei.
Man rechnet die Expositionsdosen passend herunter, verwechselt sie
mit den Wirkschwellen und eliminiert so die für die Bewertung der
Pyrethroide alles entscheidende Frage nach der chronischen Bela-
stung.

Daten und Unbedenklichkeit schließen sich aus
Zusammenfassend kann man sagen, daß es der BAYER AG trotz
fleißiger Labortätigkeit nicht gelungen ist, toxikologische Daten zu
schaffen, die geeignet wären, eine Unbedenklichkeit von Pyrethroiden
im Innenraum auch nur annähernd plausibel zu machen. Im Gegenteil.
Der Versuch mit der Teppichbürste zeigt, daß eine so hohe Schad-
stofffracht entsteht, daß die ADI-Werte der Weltgesundheitsorgani-
sation WHO allein durch die inhalative Aufnahme weit überschritten
werden. Diese Daten wurden bei der Dosisberechnung entweder
übergangen, wie beim inhalativen Risiko, oder schöngerechnet, wie
bei der dermalen Aufnahme. Die Risikobewertung ist letztlich aus der
Luft gegriffen. Was hier entwickelt wurde, könnte man als toxikologi-
schen GAU - größten anzunehmenden Unfug - bezeichnen.
Auch die äußere Form zeigt, dass dem Autor angesichts der Daten
nur übrig blieb, Verwirrung zu stiften: mit anmaßender Sprache,
schludriger äußerer Form und absichtlich chaotischem Aufbau der
Argumentation. Tabellen sind nicht selbsterklärend, Abkürzungen
werden nicht erklärt, einzelne Elemente von Tabellen sind völlig un-
verständlich. Die Darstellung wird immer wieder unterbrochen, was
zusammengehört, wird nicht zusammen dargestellt. Ein solch umfas-
sendes Täuschungsmanöver kann kaum adhoc erfunden werden. Man
benötigt dafür langjährige Übung und die Möglichkeit, auf eine ent-
wickelte Tradition zurückgreifen zu können, die immer wieder kreativ
und damit bewußt gegen besseres Wissen fälscht.

Wissenschaft geht in die Irre
Falsche Daten haben in der Wissenschaft bekanntermaßen ein langes
Leben. Berühmt wurde jener Tippfehler in der Kommastelle für den
Eisengehalt von Spinat, entnervte Mütter wissen ein Lied davon zu
singen. Das war sicher kein böser Wille. In der Umweltdebatte finden
sich oft überraschend hohe ubiquitäre (also allgegenwärtige) Hinter-
grundswerte: "Ein alter Toxikologentrick übrigens. Man verzichtet
auf die risikoreiche Manipulation der Meßwerte und sorgt stattdessen
durch eine entsprechende Zusammensetzung des Kontrollkollektivs
für eine handfeste Hintergrundbelastung", wie der Staatsanwalt des
Holzschutzmittelprozesses in seinem Buch berichtet. Die Landesämter
für Umweltschutz nehmen zur Bewertung von Dioxinmeßwerten als
,Hintergrundbelastung" notorisch jene drei Werte, die in Nordrhein-
Westfalen in der Nähe von Großemittenten gemessen wurden. So
gelten in der Verwaltung 5-15fach erhöhte Werte als Hintergrundbe-
lastung (100-300 statt 20 fg TE/m3).
Auch darin ist das Papier von BAYER ,innovativ". Für die Grenz-
konzentration der Luftbelastung von 10 µg/m3 wird nur ein Sicher-
heitsfaktor von 10 eingesetzt. Später bei der Berechnung der Grenz-
belastung für Stäube von 5.000 ppm wird ,großzügig"' ein weiterer
Faktor 10 eingebracht, so kann niemand behaupten, der Sicherheits-
faktor betrüge nur 10. In Richtlinien werden manchmal Staub- und
Luftproben verlangt. Gesetzt den Fall, in einer Richtlinie würde ,zur
Sicherheit" ein Staubgehalt von 500, 50 oder gar ,nur" 5 ppm als An-
halt für Handlungsbedarf genommen, Sanierung oder gar Schadenser-
satz aber von einer Überschreitung des Luftwertes von 10 µg/m3 ab-
hängig gemacht, so würde in den allermeisten Fällen Sanierung oder
Schadensersatz versagt.
Mit hoher Sicherheit sind viele Daten, an denen wir uns derzeit orien-
tieren, falsch. Waren alle Personen gesund, deren Daten für die Hin-
tergrundbelastung und die daraus abgeleiteten Referenzwerte ver-
wendetet wurden? Sicher nicht. Wir haben eben gelernt, dass selbst
wissenschaftlich sterile Laborwerte nicht nur nicht stimmen, sondern
um mehrere Spinateinheiten verschoben werden können. Wer heute
blauäugig Forschung fordert, sollte wissen, dass die Überpüfung alter
Daten möglicherweise viele angebliche ,Unsicherheiten" klärt.
Dieses schiefe Bild ist Absicht. Es ist nicht nur die Trägheit des Wis-
senschaftsapparates, dass ex catedra das Wissen von vorgestern ge-
lehrt wird. Dies wird gesteuert mit Geld und Würden. Letztendlich
ruiniert ein ganzer Fachbereich seine Glaubwürdigkeit.

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Dr. Tino Merz ist Chemiker und arbeitet als Gutachter in
den Bereichen Umwelterkrankungen, Müllverbrennung und Risiko-
bewertung von Umweltproblemen